Die Große Brennnessel

Gewählt wird die Heilpflanze des Jahres von der Jury des *NHV Theophrastus  (steht für Verein zur Förderung der naturgemäßen Heilweise nach Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, e.V.“).

Dieses Jahr ist es die gefürchtete und geliebte Brennnessel. Gefürchtet wegen möglicher schmerzhafter Kontakte mit den Brennhaaren und dem massivem Ausbreitungsdrang der Pflanze, geliebt wegen ihrer vielen wertvollen Inhaltsstoffe und ihrer Funktion als Kinderstube für zahlreiche Raupen.

Ich möchte dir im Juli die Große Brennnessel näher vorstellen. Jede Woche erfährst du Informationen rund um diese wertvolle Heilpflanze. Zum Abschluss jedes Beitrags erhältst du ein erprobtes Rezept zur Verwendung – teils für deine Gesundheit und Körperpflege, teils für ein gesundes, wohlschmeckendes Gericht.

Heute starten wir mit Interessantem über den Namen und die Geschichte:

Die (Große) Brennnessel

Die große Brennnessel ist die Brennnessel, die du in Vorarlberg sehr häufig findest. Sie ist zweihäusig, das heißt, es gibt Pflanzen mit entweder weiblichen oder männlichen Blüten und sie wächst ausdauernd. Auf guten Böden kann die Große Brennnessel bis zu 2 m hoch werden.

Wissenschaftlicher Name:
Urtica dioica (urtica stammt vom lateinischen Wort „urare“ und heißt “ brennen“, dioica kommt ebenfalls aus dem Lateinischen und bedeutet „zweihäusig“ – weibliche und männliche Pflanzen)

Sie gehört zur Familie der Brennnesselgewächse.

Der germanische Name „Nezze“ heißt “ Zwirn“ (ein Hinweis auf die Verwendung der Pflanzenstängel zur Herstellung von Stoffen)

Weitere Namen für die Brennnessel:
Donnernessel = schützt am Dachboden aufgehängt vor Ungewitter
Hanfnessel = aus den Stängeln kann man Garn herstellen
Saunessel = Tierfutter
Haarnessel = ideale Stärkung für Haare und Haarwurzeln
Französisch: Ortie
Englisch: Stinging nettle
Italienisch: Ortica

Vorkommen

Die Große Brennnessel wächst überall auf der Welt, wo sich Menschen aufgehalten haben oder aufhalten. Sie liebt humöse Böden, wächst aber auch auf kargen Böden. Je mehr Nährstoffe sie findet, umso mächtiger wächst sie. Sümpfe oder extrem trockene Standorte meidet sie. Halbschatten liebt sie.

Botanische Merkmale

Die Brennnessel besitzt einen ausdauernden, kriechenden, stark verästelten Wurzelstock, aus dem im Frühjahr ein 30 bis 180 cm hoher Stängel wächst.

Der Stängel ist vierkantig und kerzengerade mit geordneten, gegenständigen Blattpaaren.

Die Blätter sind eiförmig-länglich, herzförmig an der Basis und am Ende lang zugespitzt. Die Ränder weisen eine grobe Zähnung auf, wobei die Zähne häufig sichelartig gebogen sind. An der Oberseite befinden sich zahlreiche Brennhaare. Sie wirken als Schutz gegen Fressfeinde.
Die „Härchen“ sehen aus wie kleine Röhrchen und beinhalten sehr viel Kieselsäure. Darum sind sie sehr brüchig und porös.
Wenn man die Pflanze berührt, brechen die Brennhaare ab und das abgebrochene Röhrchen ritzt die Haut an der Oberfläche auf. An dieser Stelle rinnt dann das „Brennnessel-Gift“ in die Wunde. Die Flüssigkeit besteht unter anderem aus Ameisensäure und Histamin. Diese verursacht den brennenden Schmerz mit teilweisen Quaddeln und Brennen oder Jucken. 

Die Fruchtstände, die die sogenannten Nüsschen tragen, sind rispenartig angelegt und hängen nur auf weiblichen Pflanzen. Diese Fruchtstände sind lang, verzweigt und hängen mit zunehmender Reife der Samen immer tiefer am Stängel herab. Die männlichen Blütenstände sind kürzer, weniger verzweigt und stehen fast im rechten Winkel vom Stängel ab.

Männliche Pflanzen

Tipp:

Ein wahres Schauspiel ist es männliche Blüten beim explosiven „Entladen“ der Pollen zu beobachten.
Dazu einige männliche Brennnesseln mit prallen Knospen abschneiden und in eine Vase stellen. Diese in einen Raum stellen, in dem du dich häufig aufhältst.
Nun brauchst du nur noch Geduld. Mit etwas Glück kannst du mehrmals in größeren zeitlichen Abständen die plötzlich aufsteigende „Pollenwolke“ beobachten.

Die Familie der Brennnesselgewächse ist in Mitteleuropa sehr klein. Bei uns wachsen nur die 2 Vertreterinnen „Große Brennnessel“ und „Kleine Brennnessel“ wild.

Die Kleine Brennnessel (Urtica urens) hat weibliche und männliche Blüten auf einer Pflanze, ist kleiner (bis 60 cm hoch), wächst einjährig und ist bei uns seltener zu finden. Sie brennt intensiver als die Große Brennnessel.

In der südlichen Schweiz wachsen auch die Verwandten „Aufrechtes Glaskraut“ und „Niederliegendes Glaskraut“.

Das Vorkommen von 2 weiteren Verwandten in Mitteleuropa wird beschrieben: Die Röhricht-Brennnessel (auch Ukraine-Brennnessel genannt) und die Pillen-Brennnessel (Kulturpflanze, selten verwildert). Ich habe bisher keine von beiden in freier Natur in Vorarlberg gesehen. Informationen dazu findest du hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Brennnesseln

Sammelhinweise

Generell sollten die Pflanzen an ungedüngten Orten (nicht an Spazierwegen = Hundekot und -urin) und ohne „Bewohner“, wie Läuse oder Raupen, gesammelt werden.

Von April bis Juni kann man die jungen Triebe sammeln, gleich verwenden oder blanchieren und tiefkühlen oder trocknen. 

Von Juli bis September werden die Samen gesammelt. Aber auch die Blätter und jungen Triebe der abgeschnittenen und neuausgetriebenen Pflanze kann man verwenden.

Ab November bis März sind die Wurzeln für den Vorrat oder als Tinktur verwendbar.

Ab besten zieht man zum Pflücken Handschuhe an. Ganz Unempfindliche sammeln mit bloßen Händen, indem sie die Blätter von den Stängeln in Richtung Blattspitze und an den Unterseiten anfassen.

Tipp:

Ich ernte Triebspitzen auch gern mit einer kleinen Haushaltsschere. Nach dem Schnitt verwende ich die Schere ähnlich einer Pinzette und hebe die Blättchen in einen großen Papiersack.

Zur Geschichte der Brennnessel

Früher wurden gelegentlich Butter, Fisch und Fleisch in Brennnessel-Blätter gewickelt, um sie länger frisch zu halten. Tatsächlich verhindern die Wirkstoffe der Brennnessel die Vermehrung bestimmter Bakterien.
Diese Praxis ist sogar gerichtsbekannt: 1902 wurde eine Berliner Milchhändlerin aufgrund der Brennnesselblätter in ihrer Milch wegen Lebensmittelverfälschung angeklagt. Mit der Begründung, dass dies ein „allgemein geübtes Verfahren“ sei, wurde die Händlerin jedoch freigesprochen.

Dazu noch eine Anekdote aus Frankreich:
Dort wurde die Anwendung der Brennnessel-Jauche zum Düngen sowie das Verbreiten von Informationen darüber von 2005-2011 verboten und wie Drogenhandel bestraft, da es keine offizielle Marktzulassung gab. Es hieß, dass dazu aufwändige Studien nötig wären und man zu wenig über die möglichen Auswirkungen auf die Umwelt wisse. 

Die lange Geschichte der Brennnessel als Heilpflanze und Nahrungsmittel hat dazu geführt, dass es eine Vielzahl ethnobotanischer Traditionen, die teils dem Bereich der Mythen und des Aber- und Wunderglaubens entstammen, gibt.

Einige der Bräuche

Zum Neuen Jahr: Brennnesselkuchen essen, um sich ein gutes Jahr zu sichern.
Am Gründonnerstag: Brennnesselgemüse essen, das soll für das folgende Jahr vor Geldnot schützen.
Fünf Nesselblätter in der Hand halten, um frei von Furcht und bei kühlem Verstand zu bleiben.
Am Johannitag (24. Juni): Brennnesselpfannkuchen essen, um gegen Nixen- und Elfenzauber gefeit zu sein.

In manchen ländlichen Gegenden werfen die Menschen bei Gewitter Brennnesseln ins Herdfeuer.
Bei Indern und Tibetern gilt die Pflanze als heilig (Bichhu Booti auf Hindi). Sie spielt bei den Himalaya-Völkern eine wichtige Rolle in der Ernährung und in der Heilkunde. Aus den Samen wird sogar Speiseöl gewonnen.

Zum Abschluss nun das versprochene Rezept:

Brennnessel-Erdäpfelstrudel auf Kräuterjoghurt

Zutaten

Für den Strudelteig
250 g Mehl
1/2 TL Salz
1 Spritzer Essig
1 EL ÖL
1/8 L lauwarmes Wasser
(oder 1 Packung fertigen Strudelteig)

Für die Fülle
ca. 1 kg Kartoffeln
400 g Frischkäse
300 g junge Brennnesselblätter (pur oder gemischt mit Spinat, Gutem Heinrich, Vogelmiere, Kochsalat, …)
1 große Zwiebel
etwas Chilisalz
etwas Butter
Salz
Pfeffer
Petersilie
1 Ei

1 großes Stück Butter
Streumehl
Eventuell Milch oder Süßrahm zum Bestreichen

Für die Joghurtsauce
1 großen Becher Naturjoghurt
1 Handvoll gemischte Kräuter je nach Geschmack (Gartenkräuter oder Wildkräuter)
Salz
Pfeffer
Eventuell Knoblauch

Zubereitung

  • Die Zutaten für den Teig zu einer glatten Masse kneten und mindestens 1/2 Stunde mit etwas Öl bestrichen und zugedeckt (in einer Schüssel o.ä.) ruhen lassen.
    Kann auch gut mehrere Tage davor zubereitet und im Kühlschrank aufbewahrt werden. Dann 1/2 Stunde vor dem Verarbeiten aus dem Kühlschrank nehmen und bei Zimmertemperatur etwas erwärmen lassen.
  • Die Kartoffeln kochen, schälen und noch warm durch die Presse drücken.
  • Die Zwiebel fein hacken und zusammen mit den fein geschnittenen Brennnesselblättern (oder anderem Blattgemüse) in etwas Butter andünsten. Anschließend mit dem Frischkäse, den Gewürzen und dem Ei vermischen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.
  • Backrohr auf 190°C vorheizen.
  • Backblech mit Butter bestreichen.
  • Butter zerlassen.
  • Den Teig auf einem großen bemehlten Tuch ausrollen und dann so dünn ausziehen, dass er gerade nicht reißt. 2/3 mit zerlassener Butter bestreichen. Das restliche Drittel mit der Fülle belegen. Den Teil mit der Fülle zuerst einrollen, weiter einrollen, bis der ganze Teig verbraucht ist. Enden einschlagen. Das seitliche längliche Ende sollte an der Strudelunterseite liegen. Den Strudel mithilfe des Tuches auf das Backblech heben und dort mit der restlichen Butter bestreichen.
  • Bei Verwendung von fertigem Strudelteig: Auf einem feuchten Tuch zwei mit zerlassener Butter bestrichene Strudelteigblätter übereinander legen.
    Die Masse auf dem Strudelteig verteilen. Mit Hilfe des Tuches aufrollen, die Enden zusammenfalten und in eine gebutterte Kasserolle legen. Mit Butter bestreichen.
  • Bei 175 Grad C goldbraun backen. Zwischendurch gelegentlich eventuell mit Milch oder Schlagobers bestreichen.
  • Inzwischen aus Joghurt und gehackten Kräutern die Sauce bereiten. Mit Salz, Pfeffer und eventuell Knoblauch würzen und abschmecken.
  • Den Strudel noch heiß mit der Joghurtsauce servieren. Dazu schmeckt gut grüner Salat.

Auch kalt schmeckt dieser Strudel vorzüglich.

Würde mich freuen, wenn du ein „Experiment“ (Pollenexplosion) machst oder den sehr sättigenden, gesunden und feinen Strudel nachkochst und genießt.

Gutes Gelingen!

Wie immer gilt: 
Die Autorin übernimmt keine Verantwortung und Haftung für Wirkung und Gelingen. Die Leser handeln auf eigene Gefahr. 
Die exakte Bestimmung der gesammelten, gesunden Pflanzen hat absolute Priorität, ebenso muss der Sammelort sorgfältig ausgesucht werden. 

Literaturhinweise und Quellen:

„Enzyklopädie Essbare Wildpflanzen. 2000 Pflanzen Mitteleuropas. Bestimmung, Sammeltipps, Inhaltsstoffe, Heilwirkung, Verwendung in der Küche“ von Steffen Guido Fleischhauer, Jürgen Guthmann und Roland Spiegelberger; 3. Auflage 2016; AT-Verlag

„Flora Helvetica“ von Konrad Lauber, Gerhart Wagner und Andreas Gygax, 1. korrigierter Nachdruck der 5. Auflage: 2014; Verlag Haupt, Bern

Abschlussarbeit des Lehrgangs 2016-2017 für zertifizierte Kräuterpädagogen am LFI Hohenems „Urtica – Dieses Brennen tut gut – dem Wohlbefinden, der Gesundheit und der Schönheit“ von Anneliese Brunner, Pia Ulmann und Eva Hirschmann